„In Moldawien verspürt man einen kleinen Hype im Wintersport“
Oberndorf in Tirol/Chişinău – Georg Lindner, von allen liebevoll „Geggi“ gerufen, erblickte vor 30 Jahren, genauer gesagt am 20. Juni 1983, in St. Johann in Tirol das Licht der Welt.
Bis 2003 startete er für Österreich und konnte bei ein paar FIS-Rennen einige Punkte sammeln. Seit 2009 fährt der einstige Schulkollege von Philipp Schörghofer für Moldawien. Bei den Ski-Weltmeisterschaften 2011 und 2013 nahm er teil und erreichte beim Torlauf in Garmisch-Partenkirchen den 57. Rang.
Im Interview mit skiweltcup.tv sprach der Moldau-Tiroler über die Bedeutung seiner Sportart in seiner Zweitheimat, die Gegensätze und Gemeinsamkeiten von Tirolern und Moldawiern, seine Ambitionen und seine Hoffnungen im Hinblick auf seine bevorstehende, erste Olympiateilnahme in Sotschi im kommenden Februar.
skiweltcup.tv: Geggi, was macht ein Tiroler Skirennläufer in Moldawien, einer exotischen Skination, die im Westen an Rumänien und im Norden, Osten und Süden vollständig von der Ukraine umschlossen ist und keinen direkten Zugang zum Schwarzen Meer hat
Georg Lindner: Seit dem Jahr 2009 starte ich für die Republik Moldau, wie Moldawien auch genannt wird. Im fernen März 2003 habe ich mein letztes FIS-Rennen bestritten. Nach einigen Verletzungen habe ich dann keinen Startplatz mehr bekommen. Da habe ich mich nach einer anderen Möglichkeit umgesehen. Damals wusste ich aber noch nicht, welche bürokratischen Hindernisse auf mich zukommen bzw. mir bevorstehen.
skiweltcup.tv: Der moldawische Skirennsport verfügt noch nicht über eine langjährige Skigeschichte wie jene Österreichs oder der Schweiz. Könnte jedoch eine Weltcupveranstaltung wie etwa jene im bulgarischen Bansko ein Motor für die wirtschaftliche, wintersportliche und touristische Entwicklung deiner Zweitheimat beisteuern?
Georg Lindner: Natürlich, in der Hauptstadt Chişinău sind sie gerade dabei, einen Skilift zu installieren, und mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 ist ein kleiner Hype im Wintersport zu spüren. Der Skisport in den Alpen ist schon ziemlich ausgereizt; in Osteuropa hingegen werden sich immer mehr Leute den Rennsport leisten können bzw. die mögliche Unterstützung bekommen. Und wer weiß, vielleicht gibt’s in ein paar Jahren einen Parallelslalom wie etwa in Moskau oder München.
skiweltcup.tv: Welche Sportart hat in Moldawien den Status eines Nationalsports, und was muss sich in den Köpfen der Mitteleuropäer gravierend ändern, damit deine „neue Skiheimat“, die graue Maus Moldawien nicht mehr unterschätzt wird?
Georg Lindner: Fußball ist ein wichtiger Punkt. Wenn man bedenkt, dass die Republik Moldau erst seit 1991 als eigenständiger Staat existiert, ist das doch schon beachtlich. Wenn Moldawien noch etwas Zeit bzw. die Chance bekommt, wieso soll es dann nicht eines Tages zur Europäischen Union gehören.
skiweltcup.tv: Trotz mehr als sehr guter Erfolge bei FIS-Rennen wurde dir vor annähernd zehn Jahren die Unterstützung des ÖSV verwehrt. Kannst du diese, für dich bittere, Entscheidung mit dem heutigen Wissen und den bis zum aktuellen Zeitpunkt gesammelten Erfahrungswerte nachvollziehen oder bleibt ein fahler und übler Beigeschmack?
Georg Lindner: Nein, überhaupt nicht! Bei der österreichischen Leistungsdichte werden immer einige Athleten auf der Strecke bleiben, die das Zeug dazu hätten, Weltcuppunkte zu erobern. Auch der Umstand, dass die Nationalmannschaft beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel bei uns im Hotel Penzinghof logiert, zeigt, dass es keinen üblen Beigeschmack gibt. Ich bekomme ja jetzt die Chance, dass ich für die Republik Moldau bei internationalen Rennen vertreten darf.
skiweltcup.tv: Eine etwas nicht alltägliche Frage zwischendurch: Was verbindet einen Tiroler mit einem Moldawier, und welche großen Unterschiede gibt es zwischen diesen beiden Volksgruppen und Kulturkreisen?
Georg Lindner: Die Gastfreundschaft und die Offenheit gegenüber anderen, verbinden die beiden Kulturen sehr stark miteinander. Mir persönlich imponiert die Gelassenheit der Menschen in Moldau, da kann ich noch etwas lernen.
skiweltcup.tv: Blicken wir kurz zurück in die Vergangenheit: Gab es nichtsdestotrotz nie Momente von Selbstzweifel und langen inneren Dialogen nach dem Motto „Warum tu ich mir das an?“ oder hast du auch einmal, ganz ehrlich, mit dem Ende deiner sportlichen Laufbahn geliebäugelt?
Georg Lindner: Ehrlich gesagt, nie. Nach meiner ersten Knieverletzung 2009/10 beim ersten Rennen (nach sechsjähriger Stehzeit) für Moldau war das natürlich ein Schlag ins Gesicht, aber ich habe mich wieder schnell gefangen und mit meinen Zielen vor Augen fleißig am Comeback gearbeitet. Bei der zweiten Knieverletzung 2011/12 war das ähnlich, zumal ich ja gewusst habe, was auf mich zukommen wird. Mit meiner Verletzungsliste bin ich einfach nur dankbar, dass ich meinen Lieblingssport noch ausüben kann, während andere die Karriere beenden mussten.
skiweltcup.tv: Welche Lebensregel hat dich dessen ungeachtet zu dem stets fieberhaft trainierenden, sehr hart kämpfenden und aufopferungsvollen Athleten gemacht, den du verkörperst? Und wer hat sie dir – bei welcher Gelegenheit – mit auf den Weg mitgegeben?
Georg Lindner: Du kannst hinfallen, aber musst immer wieder aufstehen. Das trifft es ganz gut, wie ich finde. Meine Familie lebt es mir Tag für Tag vor, wie man es mit akribischer Arbeit und Bodenständigkeit weit bringen kann. Außerdem habe ich einen unschlagbaren Trainer und super Freunde hinter mir, die mich nicht immer nach meinen sportlichen Leistungen bewerten.
skiweltcup.tv: Der Schweizer Urs Imboden fuhr auch einige Zeit für den moldawischen Skiverband. Inwiefern sind Ski-Exoten eine wahre Bereicherung für den Weltcup, der vielerorts als Skizirkus benannt wird? Welche Rolle spielen diese Exoten dann in diesem Zirkus?
Georg Lindner: Eine wichtige Rolle, wie ich finde. Man kann ja nicht nur in Mitteleuropa, in Skandinavien und Nordamerika Ski fahren. Ich selber sehe mich als einen Werbeträger des Skisports und wenn dann etwa einige Einwohner Moldawiens zum Skisport kommen, freut das nicht nur die Skiindustrie und die Tourismusregionen, sondern auch mich.
skiweltcup.tv: Im Regelfall bist du in den Speeddisziplinen zuhause. Warum findest du das Skifahren mit hoher Geschwindigkeit sowohl faszinierend als auch fesselnd. Was charakterisiert demzufolge den Adrenalinschub und das fantastische Gefühl, mit einem fast schon mörderischen Tempo einen Berg hinunterzufahren?
Georg Lindner: Ich komme ja eigentlich aus den technischen Disziplinen, aber durch meine Verletzungen hat die Wendigkeit etwas darunter gelitten: zum Glück. Denn der Kick im Ziel nach einem Super-G oder einer Abfahrt ist unbeschreiblich, man„n“ fühlt sich so lebendig!
skiweltcup.tv: Wenn du mit sehr hohen Startnummern an den Start gehst, sind zumeist die Rennen schon entschieden und die Sieger haben ihre Interviews schon gegeben. Gibt es im Skiweltcup dennoch einen Skifahrerkollegen, den du zum einen bewunderst und zum anderen als Freund siehst, mit dem du auch hie und da abseits der Piste etwas unternimmst?
Georg Lindner: Ich bin mit Philipp „Schörgi“ Schörghofer in die Skihotelfachschule in Bad Hofgastein gegangen und verfolge daher seine Karriere ganz genau. Auch einem Romed Baumann, der 20 Kilometer von mir von zu Hause wohnt, bestimmt einer der besten in den Speeddisziplinen, schaue ich schon genau auf die Skier.
skiweltcup.tv: Georg „Geggi“ Lindner und die nahe Zukunft: Was sind deine Ziele für die bevorstehende Olympiasaison 2013/14? Bei einem Rennen im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele im kanadischen Vancouver kamst du böse zu Sturz und hast dich schwer verletzt. Warum ist die Teilnahme an einem Ereignis wie diesem so wichtig für einen Athleten?
Georg Lindner: Ich war bei den Weltmeisterschaften in Garmisch und Schladming im Super-G mit von der Partie, aber das größte Ereignis ist natürlich die Teilnahme bei den Olympischen Winterspielen. Qualifiziert bin ich im Super-G, in der Abfahrt und in der Super-Kombination; mit einem Top 30 Resultat im Super-G wäre ich mehr als zufrieden.
skiweltcup.tv: Ein Blick auf die Sommertrainingseinheiten. Mit wem trainierst du in der warmen Jahreszeit, und auf was legst du besonders viel Wert in der Vorbereitung?
Georg Lindner: Meistens mache ich mit meinem Trainer Hans Frick die Kitzbüheler Alpen mit dem Rad oder zu Fuß unsicher. Jetzt gerade befinde ich mich in einem Krafttrainings-Block. Die Abwechslung im Training ist aber extrem wichtig; so probiere ich immer wieder verschiedene Sportarten.
skiweltcup.tv: Auf deiner Homepage www.geggi.eu steht in großen Lettern, dass wer Visionen hat, Grenzen überwinden kann. Welche Vision kann kurz- bis mittelfristig mehr als nur ein Wunschtraum sein und welche Grenzen musst du hierbei überschreiten, damit deine Visionen Realität werden?
Georg Lindner: Sofern ich gesund bleibe, gibt es ja noch viel zu erreichen. Ich war heuer die erste Saison seit meinem Nationenwechsel verletzungsfrei. Die Startnummern werden auch immer besser, aber Weltcuppunkte sind eine große Vision von mir. Schauen wir, wo die Reise hingeht.
skiweltcup.tv: Wie viele andere Skirennläufer zählst du auf einen Fanclub. Besucht dich die Anhängerschar auch einmal in Moldawien oder was möchtest du uns abschließend über deinen Fanclub und seine Entstehungsgeschichte und Zielsetzungen erzählen?
Georg Lindner: Mein Fanclub ist bei den Großereignissen immer dabei. Ein Ziel ist es, zusammen mit meiner Familie und Freunden eine Reise nach Moldau zu unternehmen, und wenn ich meine Ziele in der heurigen Saison erreiche, hätten wir auch noch einen Grund zu feiern.
Interview für skiweltcup.tv: Andreas Raffeiner